Eppsteiner Zeitung - Akustik ist ein Idealfall
06.06.2018 21:00https://www.eppsteiner-zeitung.de/nachrichten/kultur/akustik-idealfall-id32830.html
Bericht von von Roland Palmert
Kultur
06.06.2018 - 10:18
Akustik ist ein Idealfall
Und der Star saß nicht am Klavier; er spielte die erste Geige.
Igor Mishurisman riss die Zuhörer in der bis auf die Empore gut gefüllten Talkirche von den Bänken. Im Duett mit Festival-Leiterin Anna Victoria Tyshayeva am Klavier spannten die beiden Musiker unter ihrem Künstlernamen „Duo Stoljarski“ einen weiten Bogen von verinnerlichtem Gebet in Ernest Blochs „Baal Shem“ und schluchzender Lobpreisung in Maurice Ravels ästhetisierter Klage des jüdischen Kaddisch bis zu Tanzrhythmen und Jazz-Anklängen in Igor Frolows Konzertfantasie über Schlager aus der Oper „Porgyund Bess“ des Broadway-Klassik-Komponisten George Gershwin.
Die kleine, zartbesaitete Violine und das große, hämmernde Klavier: Komponisten von Ludwig van Beethoven bis heute haben sich den Kopf darüber zerbrochen, wie das zusammen passen kann. Viel zu laut das Klavier! Viel zu dezent das Streichinstrument mit dem kleinen Resonanzkörper. Doch die Akustik der Eppsteiner Talkirche ist ein Idealfall für die Kombination dieser beiden Instrumente.
Konzerte voller Überraschungen und mit beachtlichem Niveau
Selbst der klangversessene Ravel, der seine Sonate in G-Dur gleich so komponierte, dass sich Geiger und Pianist aus dem Weg gehen und zuweilen nebeneinanderher spielen, wäre vom berückenden Zwei-Klang sicher entzückt gewesen. In jedem Fall gehört seine Sonate für Violine und Klavier zu den großen Meisterwerken der Gattung.
Die Eppsteiner Zuhörer ließen sich mit Vergnügen auf Ungehörtes ein. „Lauter unbekannte Stücke“, meinte ein Herr achselzuckend, „den Namen Waxman kenne ich wirklich nicht. Der sagt mir gar nichts...“ Die Melodien und Rhythmen, die sich der schlesisch-amerikanische Filmmusikkomponist für seine Fantasie aussuchte, sind allerdings weltberühmt aus Bizets Oper Carmen. Waxman, ursprünglich Franz Wachsmann, der aus Nazi-Deutschland flüchtete, wo er mit Filmmusiken wie „Der blaue Engel“ mit Marlene Dietrich erfolgreich war, lernte in Hollywood den bereits zu Lebzeiten legendären Geiger Jascha Heifetz kennen. Dem Über-Virtuosen des vorigen Jahrhunderts widmete Waxman seine Carmen-Fantasie, die heutzutage wohl auch deshalb weitgehend unbekannt ist, weil sie dem Geiger einige vertrackte Passagen zumutet. Igor Mishurisman meisterte sie mit Bravour!
Anna Tyshayeva und ihr Duo-Partner setzten unter ihr Programm das Motto: Für Toleranz und religiöse Offenheit. Blochs musikalische Bilder aus dem Leben chassidischer Juden in Osteuropa, neben dem ungezügelten Temperament des spanischen Zigeunermädchens Carmen sowie der Blues und die Spirituals des amerikanischen Schwarzen-Viertels „Catfish Row“ in Porgy und Bess mit Bettlern, Kriminellen und Arbeitern. Dass die Musiker ihr Programm für einige Sekunden unterbrechen mussten, weil die Glocken der evangelischen Talkirche um 19 Uhr zu läuten begannen, war ein Versehen – passte aber gut in diesen Abend voller Überraschungen.
„Weltklasse in dieser kleinen Stadt. In unserer Talkirche“, versprach Schirmherr Christian Heinz vom Hessischen Landtag in seiner Begrüßungsrede. Und das Niveau bleibt beachtlich beim Klavier-Festival. Heute (7. Juni) spielt der international gepriesene Chinese Haiou Zhang Werke von Frederic Chopin. Insbesondere die vier Scherzi stehen im gewaltigen Ouevre des polnischen Komponisten für sich.
Die ukrainische Solistin Kateryna Titova mischt an diesem Freitag (8. Juni) ein ungewöhnliches Programm von Mozart über Mendelssohn bis Rachmaninow. Ebenso ungewöhnlich verspricht das Programm am Samstag zu werden. Die Konzertpianistin Yekaterina Lebedeva spielt unter dem Titel „Bilder und Jahreszeiten II” Werke von Beethoven, Bach und Gluck. Dazu werden Bilder von Alex Fodor auf eine Leinwand projiziert. Am Sonntag dann ein Abschlusskonzert in Eppstein, das es in sich hat: Anna Tyshayeva und Wolfgang Manz spielen an zwei Klavieren die Klavierkonzerte Nr. 2 und 3 von Sergej Rachmaninow. „Rach 2“ und „Rach 3“ wie die gewaltigen Konzerte unter Pianisten ehrfürchtig genannt werden, fordern jeden Virtuosen. Und in diesem Fall auch den Begleiter, der den Part des riesigen Orchesters übernimmt – Herr Manz im Konzert Nr. 2, Frau Tyshayeva im Konzert Nr. 3.
Neugierige erfahren in jedem Fall mehr.
Roland Palmert